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Rechtswissenschaftliche Fakultät Zentrum für Stiftungsrecht

Verpasste Chance zur Stärkung des Stiftungsstandorts Schweiz

Das Jahr 2021 stand für den Stiftungssektor ganz im Zeichen der Pa.Iv. Luginbühl (14.470) und ist nun, mit dem Abschluss der Differenzbereinigung zwischen den Räten am 13. Dezember 2021, auch so zu Ende gegangen. Das Resümee muss durchwachsen ausfallen:

Die vorgeschlagenen Änderungen zur Optimierung der Stifterrechte durch eine Ausdehnung des Änderungsvorbehalts des Stifters in der Stiftungsurkunde (Art. 86a E-ZGB) sowie zur Vereinfachung von Änderungen der Stiftungsurkunde (Art. 86b, Art. 86c E-ZGB) waren von Beginn an unumstritten und wurden sowohl im SR als auch im NR angenommen.

Hingegen boten die gesetzlichen Regelungen der Stiftungsaufsichtsbeschwerde sowie der Honorierung der Leitungsorgane Anlass zur Debatte. Nachdem die RK-SR am 22. Februar 2021 die Vorlage auf die zwei im oberen Absatz angesprochenen Punkte reduziert hatte, was vom SR am 10. Juni 2021 mit 39 Stimmen (einstimmig) bei 1 Enthaltung angenommen wurde, nahm der NR an seiner Sitzung vom 14. September 2021 auf Antrag der RK-NR zwei Punkte wieder in die Vorlage auf, nämlich die Regelung zur Stiftungsaufsichtsbeschwerde und zur Honorierung der Leitungsorgane. Mit Blick auf die Stiftungsaufsichtsbeschwerde sollte derjenigen Person, die ein berechtigtes Kontrollinteresse hat, dass die Verwaltung der Stiftung mit Gesetz und Stiftungsurkunde in Einklang steht, ein Beschwerderecht zukommen (Art. 84 Abs. 3 E-ZGB). Hinsichtlich der Honorierung sollten Art. 23 Abs. 2 StHG sowie Art. 56 Abs. 2 DBG insofern geändert werden, als eine angemessene Entschädigung der Organe einer Steuerbefreiung der juristischen Person nicht entgegensteht.

Im Anschluss daran begann die Differenzbereinigung zwischen den Räten. Der SR fasste am 22. September 2021 den Beschluss, an seiner Ansicht festzuhalten und sprach sich somit gegen eine Aufnahme beider Punkte in die Vorlage aus. Am 6. Dezember 2021 befasste sich der NR mit gleich drei Anträgen zur Stiftungsauf­sichtsbeschwerde, wobei sich der Antrag der Mehrheit (117 zu 68 Stimmen gegen Minderheit I, 108 zu 79 Stimmen gegen Minderheit II) durchsetzen konnte. Demnach sollte der Wortlaut von Art. 84 Abs. 3 E-ZGB so geändert werden, dass Begünstigte oder Gläu­biger der Stiftung, Zustifter oder Spender sowie ihnen nahestehende Personen und Stiftungs­ratsmitglieder, welche ein Interesse daran haben, dass die Verwaltung der Stiftung mit Gesetz und Stiftungsurkunde in Einklang stehen, Beschwerde erheben können. Zudem sprach sich der NR mit 121 zu 69 Stimmen bei 0 Enthaltungen für den Mehr­heitsentscheid und damit für eine gesetzliche Regelung der Honorierungsmöglichkeit aus.

In der nächsten Runde der Differenzbereinigung machte der SR Zugeständnisse hinsichtlich der Stiftungsaufsichtsbeschwerde, nicht jedoch hinsichtlich der Honorierung der Stiftungsräte. Die Stif­tungs­aufsichts­beschwerde wurde mit 26 zu 17 Stimmen bei 0 Enthaltungen in der Vorlage belassen, allerdings mit nochmals neuer Formulierung: Nun sollen Begünstigte oder Gläubiger der Stiftung, der Stifter, Zustifter und ehemalige und aktuelle Stiftungsratsmitglieder, welche ein Interesse daran haben, dass die Verwaltung der Stiftung mit Gesetz und Stiftungsurkunde in Einklang steht, Beschwerde erheben können. Mit Blick auf die Honorierung setzte sich mit 23 zu 17 Stimmen bei 0 Enthaltungen der Antrag durch, der auf die Streichung einer Regelung zur Honorierung abzielte.

Am 13. Dezember 2021 fiel in der dritten Runde der Differenzbereinigung die Entscheidung. Der Antrag der RK-NR, dem Beschluss des SR bezüglich der Stiftungsaufsichtsbeschwerde zuzustimmen, wurde vom NR diskussionslos angenommen. Auch bei der Honorierung setzte sich der Mehrheitsantrag, dem Beschluss des SR zuzustimmen, durch, und mit 113 zu 67 Stimmen bei 3 Enthaltungen wurde die Streichung der Honorierung der Leitungsorgane aus der Vorlage gestrichen. Damit wird es zukünftig eine gesetzlich geregelte Stiftungsaufsichtsbeschwerde, hingegen keine gesetzlich legitimierte Honorierung der Stiftungsräte geben. Da die bestehenden Differenzen zwischen den Räten ausgeräumt wurden, geht das Geschäft in die Schlussabstimmung.

Zwar tragen die angenommenen Punkte der Pa.Iv. zur Flexibilisierung des Stiftungswesens bei. Ihr eigentliches Ziel, nämlich die Stärkung des Stiftungsstandorts Schweiz, dürfte aber bedauerlicherweise verpasst worden sein. Die Ablehnung der gesetzlichen Regelung der Honorierung der Stiftungsräte ist ein verheerendes Zeichen für den Gemeinnützigkeitssektor, die angestrebte Professionalisierung und den anstehenden Generationenwechsel. Die Ungleichbehandlung und Rechtsunsicherheit durch die unterschiedlichen kantonalen Praxen bleiben nicht nur bestehen, die restriktiven Behörden werden sich nun auch auf das ablehnende Votum der Parlamentarier berufen können. Die Situation der Stiftungen ist somit verschlechtert worden. Die neue Terminologie der Stiftungsaufsichtsbeschwerde ist ebenfalls unglücklich: Richtig wäre gewesen, einen breiten Kreis an Beschwerdeberechtigten zuzulassen, ihr Recht aber an ein «berechtigtes Kontrollinteresse» zu binden, um eine Popularklage zu verhindern. Nachdem die Parlamentarier aber die über Jahre von Experten entwickelte Terminologie auf ihrer Kompromisssuche etwas willkürlich modifiziert haben, gibt es nun einen begrenzten Personenkreis, der aber nur noch ein einfaches «Interesse» haben muss. Ob dies eine Verbesserung gegenüber der auf reiner Rechtsprechung basierenden Ausgangslage darstellt, ist fraglich.

Zum Ganzen:

SDA-Meldung vom 10. Juni 2021, abrufbar unter https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210610121927411194158159038_bsd110.aspx

SDA-Meldung vom 22. September 2021, abrufbar unter https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210922085435368194158159038_bsd037.aspx

SDA-Meldung vom 6. Dezember 2021, abrufbar unter https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20211206183503230194158159038_bsd173.aspx

SDA-Meldung vom 8. Dezember 2021, abrufbar unter https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20211208102608636194158159038_bsd056.aspx

SDA-Meldung vom 13. Dezember 2021, abrufbar unter https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20211213160100792194158159038_bsd119.aspx

Entwurf zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (Schweizer Stiftungsstandort, Stärkung), BBl 2021 485 ff., abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2021/486/de

Fahne Wintersession 2021, Nationalrat, abrufbar unter https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2014/20140470/N6%20D.pdf

Dominique Jakob / Ivana Savanovic