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Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Loacker

Brexit und Lugano Übereinkommen: Der Stand der Dinge auf einen Blick

Der Stand der Dinge auf einen Blick
(→ chronologische Updates jeweils weiter unten)

Das Vereinigte Königreich hat am 8. April 2020 bei der Schweiz als Depositar einen Antrag auf Beitritt zum Lugano-Übereinkommen hinterlegt.

Am 5. Mai 2021 hat die Europäische Kommission ihren Bericht zum Beitrittsgesuch des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen veröffentlicht.

Nachdem das Vereinigte Königreich per 31. Januar des vergangenen Jahres als Mitgliedsstaat aus der Europäischen Union (EU) ausgeschieden war, endete per 31. Dezember 2020 darüber hinaus der Übergangszeitraum, in welchem es auf Anordnung der EU noch als Vertragsstaat des Lugano-Übereinkommens zu behandeln war.

Wie mit dem genannten Bericht publik gemacht worden ist, wurde der Antrag des Vereinigten Königreichs vom 8. April 2020 auf Beitritt zum Lugano-Übereinkommen  abgelehnt. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass nunmehr keine vergleichbaren wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Gesuchstellerin und der EU bestünden. Das Lugano-Übereinkommen sei eine flankierende Massnahme des Binnenmarktes und dem Verhältnis zwischen der EU mit den EFTA- bzw. EWR-Staaten vorbehalten.

 

UPDATE vom Freitag, 7. Juli 2023

Bundesgerichtsurteil zur Anwendbarkeit des LugÜ post-Brexit

In seinem Urteil 5A_720/2022 vom 31. März 2023 prüft das Bundesgericht die Anwendbarkeit des Lugano-Übereinkommens (LugÜ) auf Entscheide aus dem Vereinigten Königreich vor dem Hintergrund des Brexits (vgl. hierzu das Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sowie den Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union).
Der High Court of Justice von England und Wales verurteilte den Beschwerdeführer am 20. November 2020 (und damit innerhalb des im Austrittsabkommen festgelegten Übergangs- und Durchführungszeitraums) zur Leistung eines zweistelligen Millionenbetrags an die Beschwerdegegnerin. Hiergegen ging der Beschwerdeführer in Berufung, welche der Court of Appeal von England und Wales am 30. November 2021 abwies. Während der Beschwerdeführer sich um einen Weiterzug des Verfahrens an den Supreme Court des Vereinigten Königreichs bemühte, bescheinigte die Erstinstanz gestützt auf Art. 38 LugÜ am 23. Dezember 2021 die Vollstreckbarkeit ihres Urteils im Vereinigten Königreich.

Die Beschwerdegegnerin beantragte in der Folge im Frühjahr 2022, also nach Ablauf des Durchführungszeitraums, beim Kantonsgericht Zug eine den erstinstanzlichen Entscheid betreffende Vollstreckbarerklärung sowie die Arrestbelegung bestimmter Vermögenswerte des Beschwerdeführers. Nach Gutheissung des Ersuchens durch das Kantonsgericht Zug und Abweisung der hiergegen erhobenen Beschwerde durch das Obergericht des Kantons Zug gelangte der Beschwerdeführer an das Bundesgericht und verlangte die Kassation des obergerichtlichen Urteils sowie die Feststellung, dass das LugÜ zufolge Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU nicht anwendbar sei.

Weitere Details finden Sie hier.

 

UPDATE vom Mittwoch, 5. April 2023

Bundesgerichtsurteil zur Anwendbarkeit des LugÜ post-Brexit

Das Bundesgericht befasst sich in seinem Entscheid vom 22. März 2021 mit der Frage, ob und wie das Lugano Übereinkommen (LugÜ) auf Urteile aus dem Vereinigten Königreicht angewendet wird, die während oder nach dem Brexit ergangen sind.

Das Bundesgericht hält in seinem Entscheid zunächst fest, dass das Vereinigte Königreich durch seine Mitgliedschaft in der EU Vertragspartei des LugÜ ist. Dies gilt nicht nur bis zum Austritt aus der EU am 31. Januar 2020, sondern gem. Art 126 i.V.m. Art. 129 Abs. 1 des Austrittsabkommens bis zum Ende des Übergangszeitraums am 31. Dezember 2020. Das Bundesgericht stützt diese Ansicht zudem auf den Notenaustausch 28/30 Juni 2020, wo festgelegt wurde, dass nach schweizerischem Rechtsverständnis das Vereinigte Königreich bis zum Ende der Übergangsfrist als EU-Mitgliedsstaat betrachtet wird. Folglich bleibt das LugÜ auf Entscheide aus dem Vereinigten Königreich anwendbar, die vor Ende der Übergangsfrist ergangen sind.

Keine Antwort liefert der Bundesgerichtsentscheid hingegen auf die Frage, ob das LugÜ weiterhin einschlägig ist, wenn die Anerkennungs- und Vollstreckungsgesuche nach dem Übergangszeitpunkt – also ab dem 1. Januar 2021 – eingereicht werden. Da das LugÜ selbst keine auf diese Frage zugeschnittenen Übergangsbestimmungen enthält, verweist das Bundesgericht auf die gängigen Lehrmeinungen, welche alle zum selben Ergebnis gelangen:

  • So leiten etwa Markus und Markus/Huber-Lehmann aus Art. 63 LugÜ ab, dass die Anerkennung von Urteilen, die vor Ende des Übergangszeitraums rechtskräftig wurden, durch das LugÜ geregelt würde.
  • Auch Sievi kommt zum selben Ergebnis, leitet dies aber aus Art. 70 Abs. 1 lit. b Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge i.V.m. Art. 32 f. und 38 LugÜ ab.

Das Bundesgericht gibt diese Meinungen wieder, stimmt ihnen aber nicht ausdrücklich zu, da in casu das Anerkennungsgesuch vor Ende der Übergangszeit einging, weswegen es für den vorliegenden Sachverhalt nicht relevant ist.

Es ist zu begrüssen, dass das Gericht zur Erkenntnis gelangt, dass auch Anerkennungen und Vollstreckungen in der Übergangszeit zeitlich vom LugÜ erfasst werden, denn so kann wünschenswerte Rechtssicherheit geschaffen werden.

Bedauerlich ist indessen, dass das Bundesgericht die Möglichkeit nicht ergriffen hat, sich zur kontroverseren Thematik der Anerkennung nach der Übergangszeit zu äussern. Da in casu die Einreichung der Beschwerde vor Bundesgericht noch während des Übergangszeitraums stattfand, begnügt sich das Bundesgericht mit der Wiedergabe des aktuellen Stands der Lehre zu den Folgen ab dem 1. Januar 2021, ohne sich weiter dazu zu äussern.

 

UPDATE vom Freitag, 5. November 2021

Basedow zur aktuellen Haltung der EU-Kommission

Am 16. Juli 2021 hat die EU-Kommission einen Beitritt der Europäischen Kommission zum Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 2. Juli 2019 vorgeschlagen. Dieses könnte für den künftigen Rechtsverkehr mit Grossbritannien relevant sein. Derzeit ist das Übereinkommen noch nicht in Kraft, da es zwar von vier Staaten gezeichnet wurde, aber noch keine Ratifikations- oder Beitrittsurkunde vorliegt, wie es gemäss Art. 28 Abs. 1 vorausgesetzt wäre.

Basedow weist im Editorial "Perspektivlos in Brüssel? – Die Kommission zum künftigen Rechtsverkehr mit Grossbritannien" der EuZW 2021, 777 f. völlig zu Recht darauf hin, dass dieses Haager Übereinkommen "eine massive Verkürzung des individuellen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Vereinigten Königreich" (EuZW 2021, 778) darstellen würde.

Basedow begründet dies mit zwei Hauptargumenten:

Erstens ist der sachliche Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens selbst bei einer Zeichnung der EU und Grossbritanniens bedeutend kleiner als jener des Lugano Übereinkommens (vgl. die umfangreichen Ausschlüsse in Art. 2 des Haager Übereinkommens).

Zweitens handelt es sich bei diesem Übereinkommen um eine convention simple (vgl. Art. 1) – geregelt wird also lediglich die Anerkennung und Vollstreckung.

Schon aufgrund dieser ganz unterschiedlichen Zuschnitte der beiden Instrumente LugÜ und Haager Übereinkommen stellt letzteres keinen Ersatz für einen LugÜ-Beitritt Grossbritanniens dar. Angesichts der Tatsache, dass Grossbritannien "der bedeutendste Nachbar der Union" ist, erscheint Basedow der derzeitige Rechtszustand mehr als unbefriedigend. Dem ist in jeder Hinsicht zuzustimmen.

 

UPDATE vom Donnerstag, 1. Juli 2021

In einer "note verbale" vom 22. Juni 2021 (PDF, 182 KB) gab die EU-Kommission bekannt, "not to be in a position to give its consent to invite the United Kingdom to accede to the Lugano Convention". Mit der Meldung vom 1. Juli 2021 hat die Schweiz als Depositar des Lugano Übereinkommens den Vertragsparteien sodann mitgeteilt, dass die EU dem Vereinigten Königreich folglich weiterhin den Zutritt zum besagten Übereinkommen verweigert. Damit ist das Beitrittsgesuch des Vereinigten Königreich nun endgültig abgelehnt worden, setzt das Lugano Übereinkommen nach Art. 70 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 72 Abs. 3 doch die Zustimmung sämtlicher aktueller Vertragsparteien voraus.

Ein erneutes, erfolgreiches Beitrittsgesuch ist aufgrund der ablehnenden Haltung der EU in naher Zukunft kaum absehbar. Für das Vereinigte Königreich, welches aus Sicht der EU nunmehr als Drittstaat gilt, ist unter anderem insbesondere das multilaterale Haager Übereinkommen (Übereinkommen vom 20. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen) eröffnet. Zur Lage der Schweiz siehe insbesondere hier.

 

UPDATE vom Montag, 17. Mai 2021

Im Nachgang zur Empfehlung der Europäischen Kommission, das Beitrittsgesuch des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen abzulehnen sowie der Veröffentlichung eines offenen Briefes seitens verschiedener NGOs, in welchem die EU um Wiedererwägung ihrer Entscheidung ersucht wird, hat der englische Justizminister vergangene Woche verlauten lassen (vgl. Beitrag), dass für die Zurückweisung von Grossbritannien keine Rechtsgrundlage bestünde.

Im Zentrum der Erwägungen hinsichtlich des Beitrittsgesuchs müssten nach Ansicht des Justizministers die angemessene und pragmatische Zusammenarbeit mit Blick auf Fragen stehen, welche in beidseitigem Interesse liegen. Ein Erfordernis der Mitgliedschaft im Europäischen Binnenmarkt sei hingegen keine Voraussetzung; entsprechend dürften ideologische Motive nicht in den Fokus der Entscheidung gerückt werden. Mit ihrem Entscheid würde die EU nicht nur «ihre» Gemeinschaft, sondern auch jene des Vereinigten Königreichs benachteiligen, insbesondere Konsumenten, kleinere und mittelgrosse Unternehmen sowie finanziell schwache Familien.

Obwohl der Endentscheid beim Europäischen Rat verbleibt, wäre der Rückhalt der Europäischen Kommission von eminenter Bedeutung gewesen. Die Europäische Freihandelsgemeinschaft (EFTA) hat Grossbritannien hingegen ihre Unterstützung zugesagt.

 

UPDATE vom Freitag, 14. Mai 2021

Nachdem die Europäische Kommission dem Vereinigten Königreich den Beitritt zum Lugano-Übereinkommen verwehren möchte, wurde nun mit einem offenen Brief die Wiedererwägung des Ablehnungsentscheids angeregt. Urheber des besagten Schriftstückes ist eine Koalition verschiedener NGOs sowie Rechtsprofessoren; angeführt von der European Coalition for Corporate Justice (ECCJ).

Ein Hauptargument  ist namentlich die Nicht-Wünschbarkeit der forum non conveniens-Doktrin des Common Law, die unter anderem der Gewährung von corporate human rights empfindlichen Abbruch tun aber auch insgesamt einen Rückfall in unerfreuliche "Urzustände" vor dem Inkrafttreten des Lugano-Übereinkommen bedeuten würde.

Den Volltext des offenen Briefes finden Sie hier.

 

UPDATE vom Dienstag, 4. Mai 2021

In ihrer Mitteilung über die "Bewertung des Ersuchens des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland um Beitritt zum Lugano-Übereinkommen von 2007" gelangt die Europäische Kommission zu dem Ergebnis:

"[...] dass die Europäische Union dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen von 2007 nicht zustimmen sollte. Für die Europäische Union ist das Lugano-Übereinkommen eine flankierende Maßnahme zum Binnenmarkt im Kontext der Beziehungen zwischen der EU und den EFTA-/EWR-Staaten. Im Verhältnis zu allen übrigen Drittstaaten besteht die konsequente Politik der Europäischen Union darin, die Zusammenarbeit im Rahmen der multilateralen Haager Übereinkommen zu fördern. Das Vereinigte Königreich ist ein Drittstaat ohne besondere Verbindung zum Binnenmarkt. Für die Europäische Union besteht deshalb kein Grund, im Verhältnis zum Vereinigten Königreich von ihrem allgemeinen Ansatz abzuweichen. Daher sollten die Haager Übereinkommen den Rahmen für die künftige justizielle Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich in Zivilsachen bilden."

 

UPDATE vom Dienstag, 6. April 2021

Das Obergericht des Kantons Zürich hatte im Entscheid vom 15. September 2020 die Auswirkung des «Brexit» auf die Anwendbarkeit des LugÜ geprüft. Es hatte dabei festgehalten, dass das Vereinte Königsreich selbst kein Vertragsstaat des LugÜ sei, sondern vielmehr die Europäische Union, zu der sie bis zum Austritt am 31. Januar 2020 gehörte. Mit ihrem Austritt sei die Zugehörigkeit zum LugÜ folglich dahingefallen.

Indes leitete das Gericht aus Art. 126, 127 und 129 des Austrittsabkommens zwischen Grossbritannien und der EU eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 ab, bis zu welchem Zeitpunkt das LugÜ nach wie vor wirksam bleibe. Da in casu die Beschwerde im Februar 2020 eingereicht wurde, falle es in den Übergangszeitraum und das LugÜ sei anwendbar.

Weitere Details finden sie hier.

 

UPDATE vom Dienstag, 7. Februar 2006

Im seinem sogenannten "Lugano-Gutachten" stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, fällt der Abschluss des (neuen) Lugano-Übereinkommens (LugÜ) ausschliesslich in die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft. Daraus wird abgeleitet, dass auch die Entscheidung über einen Beitritt bzw. Wiedereintritt eines Staates wie des Vereinigten Königreichs in den Kreis der LugÜ-Vertragsstaaten in die ausschliessliche Kompetenz der Europäischen Union fällt.

Weiterführende Informationen

Neuerscheinung

Hördt Michael/Hornung Leander, Der Windsor-Rahmen - Mehr Stabilität in Nordirland und doch neue Gefahren für das Brexit-Abkommen, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2023 (H 14), S. 652-660.

Neuerscheinung

Neuigkeiten zum LugÜ nach dem Brexit

Im Aufsatz "Die Auswirkungen des Brexits auf die Asset-Recovery-Praxis" von Matthias Gstoehl und Vivien Altwegg wird die Anwendung des Lugano-Übereinkommens auf britische Entscheide besprochen (SJZ 2022, 377 (416)).

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