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Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Vogt

Michael Bänziger

Das Verhältnis von Aktionärbindungsvertrag, Gesetz und Statuten

Die gesetzliche Ordnung der schweizerischen Aktiengesellschaft und insbesondere der aktienrechtlichen Mitgliedschaft ist auf das Leitbild einer kapitalbezogenen Publikumsgesellschaft ausgerichtet. Nicht selten aber besteht das Bedürfnis nach einer stärker personenbezogenen Ausgestaltung der Aktionärsstellung wie etwa der koordinierten Einflussnahme auf die Willensbildung in der Generalversammlung und auf die Geschäftsführung, der Kontrolle über die Zusammensetzung des Aktionariats, dem Schutz der Aktionärsminderheit, der Regelung der Unternehmensnachfolge, der Ermöglichung einer Kontrolltransaktion oder eines „Austritts“. Diesen Anforderungen vermag das Aktienrecht trotz seiner freiheitlichen Ausgestaltung regelmässig nicht gerecht zu werden: Für den Aktionär ergeben sich aus dem Aktienrecht – mit Ausnahme der Liberierungspflicht – weder gegenüber den anderen Aktionären noch gegenüber der Gesellschaft irgendwelche Pflichten, insbesondere auch keine Treuepflicht. Und nach der zwingenden Bestimmung von Art. 680 Abs. 1 OR ist es untersagt, dem Aktionär über die Liberierung hinausgehende Aktionärspflichten zu auferlegen.

Um dem mannigfaltigen Bedürfnis nach einer stärker personenbezogenen Ausgestaltung der Aktionärsstellung entsprechen zu können, muss die gesetzliche und statutarische Ordnung der Aktiengesellschaft regelmässig mit einem Aktionärbindungsvertrag ergänzt werden. Aktionärbindungsverträge sind Verträge über Rechte und Pflichten, die einen Zusammenhang zur Aktionärsstellung haben. Sie sind gesetzlich nicht geregelt, von Lehre und Rechtsprechung jedoch als zulässig anerkannt. Mit ihnen können Rechtsbeziehungen unter den Aktionären und damit indirekt auch personenbezogene Obliegenheiten und Möglichkeiten gegenüber der Gesellschaft begründet werden.

Im Regelfall ergibt sich nur aus der Einheit der körperschaftsrechtlichen (Gesetz und Statuten) und der vertraglichen Normen (Aktionärbindungsvertrag) die gewünschte Ordnung. Dieser sachlichen Einheit steht der rechtliche Grundsatz entgegen, wonach der Aktionärbindungsvertrag und die Aktiengesellschaft rechtlich „getrennte Welten“ sind. In dieser Divergenz gründet eine Vielzahl von praktischen Problemen wie etwa die unzureichende Durchsetzbarkeit von Aktionärbindungsverträgen. Trotz der grundsätzlichen Trennung ergeben sich Berührungspunkte, an denen die engen sachlichen Beziehungen zwischen dem Körperschafts- und dem Vertragsrecht auch rechtlich relevant werden und die einzelnen Regelungsebenen sich einander öffnen oder in Konflikt treten. Ein Konflikt kann sich einstellen, wenn versucht wird, statutarische Bestimmungen durch Aktionärbindungsverträge zu umgehen oder zu verdrängen. Inwieweit die engen sachlichen Beziehungen auch rechtlich relevant sind und wie Konflikte zwischen den einzelnen Regelungsebenen zu lösen sind, soll in dieser Dissertation näher untersucht werden. Das Ziel dieser Dissertation ist es, ausgehend von den praktisch relevanten Problembereichen das Verhältnis von aktienrechtlicher Ordnung (Gesetz und Statuten) und Aktionärbindungsvertrag zu beleuchten. Dabei sollen insbesondere auch Entwicklungen in ausländischen Rechtsordnungen berücksichtigt werden.