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Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Loacker

Konsumentenrecht: Zur Frage reduzierter Informationspflichten bei Fernabsatz mit Bestellkarten

Hintergrund
Am 23. Januar 2019 hat die Dritte Kammer des Europäischen Gerichtshofs über ein Vorabentscheidungsersuchen des Deutschen Bundesgerichtshofs in der Sache Walbusch/Wettbewerbszentrale (C-430/17) entschieden.

Bei der Vorlage ging es im Wesentlichen um die Auslegung von Art. 6 Abs.1 Buchst. h i.V.m. Art. 8 Abs. 4 der Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83. Konkret wollte das vorlegende Gericht insbesondere wissen, nach welchen Kriterien zu beurteilen sei, ob ein Vertrag als mittels Fernkommunikationsmittel (in casu: Werbeprospekt mit Bestellpostkarte) i.S.v. Art. 8 Abs. 4 als geschlossen angesehen werden kann, und welchen Umfang die Informationspflicht zum Widerrufsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h habe, wenn für Informationen nur ein sehr beschränkter Raum zur Verfügung steht.

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die erwähnte Richtlinie bezweckt, ein hohes Verbraucherschutzniveau dadurch sicherzustellen, dass die Information und die Sicherheit der Verbraucher bei Geschäften mit Unternehmern garantiert wird. Diese Grundabsicht tritt namentlich in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zutage, der eine Aufklärungspflicht des Unternehmers enthält, den Verbraucher bei Fernabsatzverträgen bzw. Verträgen ausserhalb von Geschäftsräumen über den genauen Vertragsgegenstand und -inhalt aufzuklären.

Diese Pflicht wird in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie konkretisiert und insofern spezifiziert, als darin die Verpflichtung seitens des Unternehmers statuiert wird, den Verbraucher über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung eines Widerrufsrechts zu belehren und ihm das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B zukommen zu lassen.

Sofern sich der Unternehmer indessen eines Fernkommunikationsmittels bedient, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, verpflichtet ihn Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie nur, über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags ausgewählte der in Art. 6 Abs. 1 genannten vorvertraglichen Informationen zu erteilen, darunter die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h genannte Information über das Widerrufsrecht. Dem Unternehmer wird also die Möglichkeit eröffnet, dem Verbraucher die vorvertraglichen Informationen in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise zu erteilen (beispielsweise durch Angabe einer gebührenfreien Telefonnummer oder eines Hyperlinks auf eine Website des Unternehmers, auf der die einschlägigen Informationen unmittelbar abrufbar und leicht zugänglich sind).

Diese Ausnahme resp. Informationspflichtenreduktion trägt zum einen dem Umstand Rechnung, dass gewisse Medien technischen Beschränkungen unterworfen sind und in solchen Fällen ein undifferenziertes Gebot einer zu umfassenden, weil unangepassten Informationspflicht weder realisierbar (Bsp: Vertragsabschluss per Telefon) noch mit dem Wesensgehalt der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie der unternehmerischen Freiheit des Unternehmers, wie sie in den Art. 11 und 16 der Grundrechte-Charta gewährleistet werden, vereinbar wäre. Zum andern gefährdet die vorgenommene Differenzierung das Bedürfnis des Verbrauchers nicht, vor Abschluss des Fernabsatzvertrags in angemessener Form die erforderlichen Informationen zu erhalten.

Daraus folgert der Europäische Gerichtshof, dass die Frage, ob in einem konkreten Fall auf dem Kommunikationsmittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht (und damit die Informationspflichtenreduktion eingreift), unter Berücksichtigung sämtlicher technischer Eigenschaften der Werbebotschaft des Unternehmers zu beurteilen sei. Die Prüfung habe in Beachtung des Raumes und der Zeit, die von der Botschaft eingenommen werden, zu erfolgen und müsse den Bedürfnissen eines Durchschnittsverbrauchers (etwa hinsichtlich der verwendeten Schriftgrösse) angemessen sein.

Bei Bejahung der begrenzten Raum- und Zeitkriterien sei der Unternehmer nicht verpflichtet, dem Verbraucher zeitgleich mit dem Einsatz des jeweiligen Fernkommunikationsmittels das Muster-Widerrufsformular auszuhändigen. Diese Bürde sei nicht geeignet, die Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen, einen Fernabsatzvertrag zu schliessen oder nicht, sofern die Mitteilung dieses Musterformulars auf andere Weise in klarer und verständlicher Sprache ausreichend sei. Art. 11 Abs. 1 räume im Übrigen dem Verbraucher ohnehin die Möglichkeit ein, seinen Widerrufswillen jederzeit auf beliebige Art und Weise kundzutun, sofern sein Entschluss aus seiner Erklärung eindeutig hervorgeht.

Fazit
Der Europäische Gerichtshof konnte im Ausgangsfall offen lassen, ob der gegenständliche Werbeprospekt mit Bestellpostkarte die Kriterien eines räumlich bzw. zeitlich begrenzten Mediums erfüllte und das Unternehmen deshalb von der Bereitstellungspflicht in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83 zu entbinden gewesen wäre. Damit obliegt es dem nationalen deutschen Gericht diesbezüglich eine abschliessende Beurteilung vorzunehmen – mangels hinreichend konkreter Kriterienvorgaben durch den EuGH keine leichte Aufgabe.

Michele Volpe

 

Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.