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Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Loacker

Allgemeines Privatrecht: Verjährung bei aussergerichtlichen Verhandlungen

Hintergrund
Das Bundesgericht hatte in seiner Entscheidung 4A_207/2018 vom 22. Oktober 2018 die Verjährungsthematik mit Blick auf eine etwaige Unterbrechung einerseits und den möglichen Verzicht auf die entsprechende Einrede andererseits zu erörtern. Ausgangspunkt der bundesgerichtlichen Erwägungen bildet ein Strassenverkehrsunfall aus dem Jahr 2001. Im Rahmen der daran anschliessenden aussergerichtlichen Verhandlungen unterbreitete der Versicherer – gestützt auf ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes medizinisches Gutachten zur Feststellung des Invaliditätsgrades – am 28. April 2008 einen Vorschlag für eine Ersatzzahlung in Höhe von CHF 125'000.–. Der Versicherungsnehmer lehnte dieses Angebot ab und verlangte ein weiteres Gutachten. Im November und Dezember 2010 sowie im Juni 2011 erklärte der Versicherer, er würde auf die Anrufung der Verjährung verzichten, sofern sie nicht bereits eingetreten sei (vgl. zu dieser «bedingten» Art des Verjährungsverzichts bspw. BGer 4A_656/2011 vom 12. März 2012 insbes. E. 5). Die über zehnjährige Verhandlungsphase mündete am 8. März 2012 in eine Klage des Versicherungsnehmers. Gegen die in diesem Verfahren durch den Versicherer erhobene Einrede der Verjährung wandte der Kläger ein, das Angebot vom 28. April 2008 stelle eine Schuldanerkennung dar. Daher beginne an diesem Tag eine neue – der für versicherungsrechtliche Ansprüche vorgesehenen, spezialgesetzlichen Regelung in Art. 46 Abs. 1 VVG folgend – zweijährige Verjährungsfrist zu laufen. Diese sei noch nicht abgelaufen gewesen, als der Versicherer seinen (bedingten) Verjährungsverzicht erklärte, folglich sei eine Berufung auf die Verjährung im erstinstanzlichen Verfahren nicht möglich. In der zentralen Erwägung 6 unterscheidet das letztlich angerufene Bundesgericht nun zwei Tatbestände, die zwar in engem Zusammenhang stehen, sich aber dennoch hinsichtlich Voraussetzungen und Rechtsfolgen unterscheiden: Zum einen hält das Bundesgericht fest, gemäss Art. 135 Ziff. 1 OR führe die Schuldanerkennung zu einer Unterbrechung der Verjährung und es beginne eine neue Verjährungsfrist zu laufen (vgl. Art. 137 Abs. 1 OR für die Wirkungen der Verjährungsunterbrechung). Mit dem die Obligation konkretisierenden Zusatz «qui n’est pas encore prescrite» weist das Gericht auf die für eine kraft gesetzlicher Anordnung verjährungsunterbrechende Schuldanerkennung massgebliche Voraussetzung hin. Eine Verjährungsunterbrechung i.S.v. Art. 135 Ziff. 1 OR tritt nur ein, wenn die Schuldanerkennung während der laufenden Frist erfolgt (vgl. OGer BE, FamPra.ch 2014, S. 719 E. 6; KOLLER, OR AT, 4. Aufl., Bern 2017, Rn. 69.06). Für den (anderen) Fall einer bereits verjährten Forderung erwägt das Bundesgericht, dem Schuldner sei es unbenommen, auf die Erhebung der Verjährungseinrede zu verzichten. Diese Erklärung könne er zusammen mit einer Schuldanerkennung – in der Terminologie des Gesetzes auch Schuldbekenntnis (vgl. Art. 17 OR) – abgeben. Soweit ein Schuldner bezüglich einer verjährten Forderung allerdings bloss das Bestehen einer Schuld anerkenne, ohne ausdrücklich oder stillschweigend auch einen Verjährungseinredeverzicht zu erklären, stünde ihm diese Einredemöglichkeit im Verfahren ohne Weiteres zur Verfügung. Das Schuldbekenntnis hat «grundsätzlich keine Veränderung der Rechtslage zur Folge» (KOLLER, a.a.O., Rn. 24.29).

Die Forderung im urteilsgegenständlichen Sachverhalt ist gemäss bundesgerichtlicher Feststellung spätestens am 22. März 2005 verjährt (E. 5), sodass eine spätere Schuldanerkennung nicht die gesetzlichen Unterbrechungswirkungen zeitigte. Zudem wurde das Angebot des Versicherers vom 28. April 2010 nicht als Schuldanerkennung, sondern als Vergleichsvorschlag qualifiziert, der zu einem neuen Vertrag geführt hätte (zu einer ähnlichen Konstellation KOLLER, a.a.O., Rn. 24.14 m.w.H.). Alsdann fehlte es an einem (zu beachtenden) Verjährungseinredeverzicht. Die vom Versicherer geäusserten Verjährungsverzichtserklärungen erfolgten, nachdem die Frist bereits verstrichen war und konnten nur gültig sein, soweit die Verjährung (noch) nicht eingetreten war.

Fazit
Das Urteil lässt Konturen der Rechtsfiguren Schuldanerkennung, Unterbrechung der Verjährung sowie Verjährungsverzicht erkennbar werden. So stellt es klar, dass nur eine Schuldanerkennung während laufender Verjährungsfrist gestützt auf Art. 135 Ziff. 1 OR zu einer Verjährungsunterbrechung führt. Soll die Anerkennung einer Forderung, die bereits verjährt ist, auch dazu führen, dass die Einrede der Verjährung ausgeschlossen bleibt, so haben dies die Parteien «explicitement» oder «tacitement» (E. 6) bzw. «eindeutig» (vgl. zu den Anforderungen BGer 4A_147/2014 vom 19. November 2014 E.4.4.4) zu vereinbaren. Die Entscheidung unterstreicht überdies, dass nicht jedes Angebot einer Partei, das mit Blick auf eine mögliche aussergerichtliche Einigung in die Verhandlungen eingebracht wird, auch als Schuldanerkennung zu qualifizieren ist (vgl. BSK OR I-DÄPPEN, Art. 135 N 2; BSK OR I-SCHWENZER, Art. 17 N 3 f.). Allerdings enthält das Judikat wenig Anhaltspunkte für eine in anderen Fällen fruchtbar zu machende Abgrenzung zwischen Schuldanerkennung und «blossem» Vergleichsangebot (vgl. KOLLER, a.a.O., Rn. 24.10 ff. m.w.H.). Interessant dürfte im Übrigen auch ein Blick auf die im vorliegend besprochenen Urteil einschlägige Verjährungsfrist nach Art. 46 Abs. 1 VVG sein. Gerade für Verhandlungen mit Versicherungsunternehmen ist die darin statuierte zweijährige – versichererfreundliche – Frist äusserst knapp bemessen (dementsprechend kritisch BSK VVG-GRABER, Art. 46 N 1 f.). Der dem Parlament mittlerweile zur Beratung vorliegende Entwurf für eine Teilrevision des VVG sieht in seinem Art. 46 denn auch eine fünfjährige Verjährungsfrist vor (BBl 2017 5141, 5148). Noch weiter gehend – und mit Blick auf den dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt wohl auch nicht abwegig – wäre eine Diskussion über eine zehnjährige Verjährungsfrist, wie sie im Entwurf für die vom Parlament nicht weiterverfolgte Totalrevision des Versicherungsvertragsgesetzes vorgeschlagen wurde (Art. 64 Abs. 1 des Entwurfs für eine Totalrevision des VVG, BBl 2011 7819, 7837).

Gian Andri Capaul

 

Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.