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Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Loacker

Technologierecht: Haftung für das Setzen eines Hyperlinks und Art. 10 EMRK

Hintergrund
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit dem Urteil Magyar Jeti Zrt gegen Ungarn eine hilfreiche Klarstellung in Bezug auf die mögliche Haftung für das Verwenden von Hyperlinks mit persönlichkeitsverletzenden Angaben geschaffen. Im Ergebnis stellte er fest, dass das ungarische zivile Haftungsrecht die Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 EMRK verletze.

Hintergrund des Rechtsstreits war ein Vorfall mit Fussballfans vor einer hauptsächlich mit Roma-Kindern besuchten Schule, bei dem die Gruppe unter anderem vor dem Gebäude urinierte und rassistische Aussagen tätigte. Daraufhin wurde ein Interview mit dem lokalen Politiker J.Gy., der das Ereignis der rechten Jobbik-Partei anlastete, auf youtube hochgeladen. Das Nachrichtenportal 444.hu, welches darüber berichtete, wiederholte die Identifizierung von Jobbik nicht ausdrücklich, verwies jedoch mittels Hyperlink auf das youtube-Video.

Am 13. Oktober 2013 erhob Jobbik unter anderem gegen J.Gy. und 444.hu Klage. Dies mit dem Ergebnis, dass das zuständige ungarische Gericht die Äusserung von J.Gy. als persönlichkeitsverletzend und nicht gerechtfertigt beurteilte. Das Verfahren gegen 444.hu stützte sich auf die Bestimmungen des ungarischen Zivilgesetzbuches über die Verbreitung von diffamierenden Inhalten. Insbesondere das Argument, 444.hu hätte mit der Nichtnennung von Jobbik die persönlichkeitsverletzenden Aussagen nicht wiederholt, wurde vom Gericht zurückgewiesen. Nach einer Beschwerde an das ungarische Verfassungsgericht hielt dieses fest, dass die Verbreitung des youtube-Videos via Hyperlink rechtswidrig war, auch wenn sich der Verbreiter nicht mit dem Inhalt der Erklärung des Dritten identifiziert und zu Unrecht der Richtigkeit der Erklärung vertraut hatte.

Der EGMR verwies im vorliegenden Entscheid auf mehrere Urteile anderer Gerichte zur Thematik der Haftung für das Setzen von Hyperlinks. Erwähnt wurde unter anderem der Entscheid GS Media BV/ Sanoma Media Netherlands BV (Rs. C-160/15), in dem der EuGH feststellte, dass der Verwender eines Hyperlinks haftbar gemacht werden kann, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass das Ziel des Hyperlinks rechtswidrig war. Der Oberste Gerichtshof Kanadas hielt hingegen fest, dass die Veröffentlichung eines Hyperlinks auf eine Website oder ein Dokument von einem Dritten – auch wenn Letztere einen diffamierenden Inhalt aufweisen – nicht persönlichkeitsverletzend sein könne.

In Abwägung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie des Rechts der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10 EMRK) stellt der EGMR nun fest, dass (in Abweichung von der Beurteilung der ungarischen Gerichte) die blosse Veröffentlichung eines Hyperlinks nicht mit der Verbreitung von persönlichkeitsverletzenden Inhalten gleichzusetzen sei. Es bedürfe vielmehr einer Einzelfallbetrachtung, um zu prüfen, ob das Verwenden des Hyperlinks aus Sicht von Art. 10 EMRK zu einer Haftung führen kann. Zu beachten sei dabei insbesondere, ob der Journalist den beanstandeten Inhalt gebilligt oder bloss wiederholt habe und inwiefern er von den persönlichkeitsverletzenden Angaben Kenntnis hatte oder haben hätte können. Zudem gelte es zu untersuchen, ob im guten Glauben unter Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht gehandelt wurde.

Fazit
Im vorliegenden Fall gab es keine Anhaltspunkte für die Verantwortlichkeit des Journalisten von 444.hu, weshalb die Verurteilung des Nachrichtenportals durch die ungarischen Gerichte gegen Art. 10 EMRK verstiess. Der EGMR schloss jedoch gleichzeitig nicht aus, dass ein Hyperlink in bestimmten Konstellationen durchaus zu einer Haftung führen könne.

Obwohl es im Entscheid um die Beurteilung von ungarischem Recht ging, wird das Urteil in allen Mitgliedstaaten der EMRK für die Thematik der Hyperlinks und der Freiheit der Meinungsäusserung wegweisend sein. Offen bleibt allerdings weiterhin, wie die Situation zu beurteilen wäre, wenn es sich beim Verwender nicht um einen Journalisten, sondern beispielweise um einen Twitter-Nutzer handelt, der persönlichkeitsverletzende Aussagen außerhalb eines beruflichen Kontexts „retweetet“.

Lara Blumer

 

Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Meinung der Verfasserin wieder.