Navigation auf uzh.ch

Suche

Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl Loacker

Haftpflichtrecht: Abgrenzung des Produktbegriffs in der Produktehaftung

Hintergrund
Der Oberste Gerichtshof Österreichs (OGH) hat am 7. Februar 2020 ein Vorabentscheidungsersuchen bei dem europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht. Damit soll geklärt werden, ob die Definition eines Produktes gem. Art. 2 der EU-Produkthaftungsrichtlinie auch unrichtige Ratschläge im Rahmen einer Zeitungskolumne erfassen kann. Diese Abgrenzung ist insoweit von Interesse, als sie den Anwendungsbereich der Produktehaftung bestimmt.

Im vorliegenden Sachverhalt geht es um einen Beitrag der Tageszeitung Kronen-Zeitung. Besagter Beitrag wurde am 31. Dezember 2016 publiziert und von „Kräuterpfarrer Benedikt“, einem Fachmann im Gebiet der Kräuterkunde, verfasst. Darin beschrieb er eine Meerrettich Auflage gegen Rheumaschmerzen, wobei aber eine Applikationsdauer von zwei bis fünf Stunden genannt wurde. Tatsächlich hätte die Anwendung nur zwei bis fünf Minuten dauern dürfen.

Eine Leserin befolgte den Beitrag „aufs Wort“ und erlitt durch das zu lange Einwirken der Auflage einen körperlichen Schaden. Sie klagte daraufhin gegen die Verlegerin der Zeitung. Dabei machte sie insbesondere Ansprüche aus Produktehaftung geltend.

Strittig war vor dem OGH, ob eine Zeitung mit einer fachlich falschen Empfehlung als Produkt im Sinne der Produktehaftung gilt und der Sachverhalt somit unter diese Haftung subsumiert werden kann. Der OGH stellte ein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH, damit letzterer überprüfen soll, ob in casu ein Produkt i.S.v. Art. 2 i.V.m. 1 und 6 der Produkthaftungsrichtlinie vorliegt.

Gemäss der Schlussanträge des Generalanwalts Gerard Hogan (C-65/20) erfülle eine Empfehlung im Sinne des Wortlauts, der Zielsetzung und des Zusammenhangs der Richtlinie nicht die Tatbestandsvoraussetzungen eines Produkts.

Hogan führte aus, dass der Wortlaut von Art. 2 nämlich davon ausgehe, dass ein Produkt zwingenderweise körperlich sein müsse. Gemäss Art. 1 und 6 müsse der Schaden durch einen physischen Defekt am Produkt verursacht werden, was e contrario bedeuten würde, dass das Produkt selbst physisch vorhanden sein müsse. Diese Sichtweise wird von einer Gegenmeinung abgelehnt, die postuliert, der Produktbegriff müsse keine physische Präsenz verlangen. Daraus wird geschlossen, dass die falsche Information selbst ein Produkt sein könne. Diese Sichtweise steht gem. Hogan aber im Widerspruch zum Wortlaut der Bestimmungen und sei deswegen zu verwerfen.

Des Weiteren meinte Hogan, nicht die Zeitung selbst habe einen physischen Schaden bei der Leserin verursacht, sondern ein geistiger Inhalt der Zeitung. Ein geistiger Inhalt sei aber als Dienstleistung und nicht als Produkt zu qualifizieren, weswegen er folglich auch nicht unter die Produktehaftung zu subsumieren sei. Diese Ansicht wird von einem Teil des Schrifttums abgelehnt, da sie das körperliche Medium aus Gründen des Verbraucherschutzes nicht vom Inhalt trennen wollen. Hogan lehnte diesen Standpunkt ab, da er im Kontrast zum Wortlaut der Artikel 1 und 6 der Richtlinie stehe.

Ein zusätzliches Argument gegen die Qualifizierung als Produkt sah Hogan im mangelnden unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler des Produkts und dem Schaden, der von der Haftung verlangt wird, denn zwischen der Zeitung und dem Schaden gäbe es keine Verbindung. Daraus folgerte der Generalanwalt, dass die Produkthaftungsrichtlinie nicht auf Dienstleistungen anwendbar sei. Dies wäre eine unzulässige Erweiterung des Anwendungsbereiches und würde zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. So würde bspw. eine Empfehlung in einer Veröffentlichung unter die Produktehaftung fallen, die gleiche Empfehlung im Radio hingegen nicht.

Ebenfalls zu beachten sei gem. Hogan die Zielsetzung der Richtlinie. Sie soll i.S.v. ErwGR. 1 durch rechtliche Harmonisierung die Wettbewerbsverfälschung eindämmen und den freien Warenverkehr einheitlicher gestalten. In Verbindung mit ErwGR. 3, 4 und 6 scheint durch die Formulierungen hervorzugehen, dass sich der Anwendungsbereich der Richtlinie auf Produkte beziehe, nicht auf Dienstleistungen. Andernfalls würde die Haftung Dienstleistungen als Produkte betrachten, Dienstleister werden als Hersteller gesehen usw., was zu stossenden Ergebnissen führen würde.

Letztlich beschreibt Hogan die Folgen einer Ausdehnung des Produktbegriffs auf Dienstleistungen. Die Ausweitung würde Dienstleister einer verschuldensunabhängigen Haftung aussetzen, die von einer grossen Anzahl an Klägern eingefordert werden könnte. Durch diese Ausweitung der aktiv- und passivlegitimierten Personen wäre der Anwendungsbereich der Produktehaftung verzerrt, was nicht dem Sinn der Richtlinie entspräche. Das habe der EuGH deutlich in seinem Urteil Dutreux festgehalten, als er einen Dienstleister klar von der Produktehaftung ausschloss.                       

In casu wäre zusätzlich zu beachten, dass es einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit darstellen würde, wenn Zeitungen für Empfehlungen in ihren Kolumnen haftbar gemacht werde würden. Sowohl Art. 11 Abs. 2 GRCh, als auch Art. 10 EMRK wären dadurch tangiert, weshalb eine ausdrücklich Grundlage im Gesetz nötig wäre, die aber nicht in der Richtlinie enthalten sei.

 

Fazit
Das schweizerische Produktehaftpflichtgesetz wurde durch den autonomen Nachvollzug aus der oben besprochenen Produkthaftungsrichtlinie übernommen. Aus diesem Grund ist auch für das hiesige Recht die Auslegung des Produktbegriffs durch den EuGH von grosser Relevanz, denn der Anwendungsbereich der Produktehaftung hängt davon ab, was als Produkt qualifiziert wird. Fallen nun auch Dienstleistungen in diesem Bereich, wird die Anwendung der Haftung ungerechtfertigt ausgeweitet und führt dazu, dass neue Sachverhalte darunter subsumiert werden können. Das ist nicht nur entgegen dem Zweck und Wortlaut der Bestimmung, sondern greift auch in die Anwendungsbereiche anderer Haftungen ein. Zudem wird so die Position von Dienstleistern geschwächt, denn sie werden so Ansprüchen aus einer unverschuldeten Haftung ausgesetzt.

Aus diesen Gründen scheint es richtig, der Argumentation des EuGH-Generalanwalts zu folgen und Dienstleistungen nicht unter den Produktbegriff zu subsumieren. Dies entspricht im Übrigen auch der Position, die unser Lehrstuhl konsequent in Lehre und Schrifttum vertritt.

Nina Bleiker

Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Meinung der Verfasserin wieder.

 

Unterseiten

Weiterführende Informationen

(c) by Markus Winkler

Noch mehr Rechtsnews?

...finden Sie hier in der Übersicht.